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Vintro Le Mans Chronograph: Frischer Wind in vertrauter Gestalt

Vintro Le Mans Chronograph: Frischer Wind in vertrauter Gestalt

Der dänische Schriftsteller Kierkegaard hat uns den schlauen Satz hinterlassen, dass man das Leben zwar vorwärts leben muss, man es aber nur rückblickend verstehen kann. Genau das gleiche Phänomen trifft meiner Erfahrung nach auf Trends zu; sei es in der Automobilbranche, in der Mode oder eben bei Uhren.

Betrachten wir an dieser Stelle exemplarisch den Hype um Bauhaus-Uhren. Gefühlt ist die letzten drei Jahre jede Woche eine neue Microbrand Bauhaus-Marke aus dem Boden geschossen. Der Vergleich mit Unkraut wäre an dieser Stelle sicherlich ein bisschen verunglimpfend, aber den Begriff Wildwuchs finde ich durchaus angebracht. Dies ist selbstverständlich nicht als Bauhaus-Kritik im Allgemeinen zu sehen. Echte Klassiker wie die Max Bill von Junghans stehen natürlich über diesen Trends und sind weiterhin auf meiner Liste von Uhren, um die ich meine Sammlung definitiv noch ergänzen will.

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Mitten in diesem Bauhaus-Trend, also quasi im Auge des Sturms, habe ich diese Flut von Marken nur bedingt aus einer übergeordneten Perspektive betrachtet. Doch als ich das erste Mal das Zifferblatt des Le Mans 1952 Chronographen von Vintro gesehen habe, ist mir erst wirklich bewusst geworden, wie sehr sich mein Uhrenherz nach einem neuen Rezept gesehnt hat und dem zum x-ten Mal wiederaufgekochten Bauhaus-Eintopf überdrüssig war.

Wobei das Wort „neu“ im Bezug auf die Le Mans nur im übertragenen Sinne zutrifft, den wie der Name der Kollektion vermuten lässt, handelt es sich hierbei um eine Retro-Uhr. So lässt sich auch der Markenname Vintro herleiten, ein Schachtelwort aus Vintage und Retro.

Leser die sich an dieser Stelle eine klassische Uhrvorstellung erhoffen, möchte ich an dieser Stelle gerne auf den Artikel von Chronautix verweisen, der den Chronographen mit unglaublich viel Liebe zum Detail, Fachwissen und sehr gelungenen Fotos vorstellt. Der folgende Artikel ist viel mehr eine persönliche Auswahl der Punkte, die dafür gesorgt haben, dass die Vintro aktuell einen Stammplatz an meinem Handgelenk hat.

Die Marke Vintro Watches

Vintro Watches hat, wie so viele andere Microbrands, seinen Ursprung auf Kickstarter genommen. Wenn ich das Wort Uhren und Kickstarter höre, habe ich üblicherweise sofort das Bild von zwei jungen BWL-Studenten Ende 20 vor Augen, die sich auf dem Papier ausgerechnet haben, dass die Marge bei Uhren mit einem Verkaufspreis von circa 150€ gewaltig ist und man über Social Media sehr schnell Skaleneffekte in der Zielgruppenansprache realisieren kann.

Das Team hinter Vintro Watches: Uli Baka, seine Schwester Susanne und ihr Lebensgefährte Udo

Das Team hinter Vintro Watches
Quelle: Vintro-Watches.de

Wenn man sich das Bild des Gründerteams um Uli Baka, dessen Schwester und ihrem Lebensgefährten anschaut, hat dies recht wenig mit BWL-Studenten zu tun, die parallel zu ihrer Arbeit bei McKinsey oder Ernst & Young ein Startup gegründet haben. Wir sehen drei Menschen die mitten im Leben stehen, nicht nur am Handgelenk sondern auch was Kleidung betrifft ein Gefühl für zeitlose Mode haben und, so ist es der Website zu entnehmen, selbst hoffnungslos mit dem Uhrenvirus infiziert sind. So haben erst mehr als 1.000 Uhren die Uhrensammlung des Gründers durchlaufen, bis der Traum von einer eigenen Uhrenmarke in die Realität umgesetzt wurde.

Wenn aus Skeptikern Fans werden

Dass hinter Vintro echte Uhren-Leidenschaft steht, zeigt sich auch in der persönlichen Kommunikation mit potentiellen Kunden. In der Recherche zu diesem Artikel bin ich auf ein Thread in einem Uhrforum gestoßen, bei dem sich zu Vintro ausgetauscht wird. Prinzipiell bin ich bei solchen Foren immer ein Tick weit skeptisch, da Geschmäcker eben sehr verschieden sind und jeder selbsternannte Experte unterschiedliche Bewertungskriterien an den Tag legt, denen keine Marke dieser Welt gleichermaßen gerecht werden kann.

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Doch in dem Falle von Vintro hat die Entwicklung in besagten Uhrforum für mich eine unerwartete Wendung genommen. Dank der sehr schnellen und individuellen Reaktion des Gründers auf Kundenanfragen, hat sich in kürzester Zeit ein echtes Fanlager etabliert, und so ein Gegengewicht zu den typischen „Marke xx bietet das gleiche Paket für 50€ weniger“-Sagern gebildet, welches dem Thread davor bewahrt hat, in die typische Argumentationskette zwischen Fans und Skeptikern abzurutschen.

Le Mans 1952 – ein Jahr in dem Helden geboren wurden

Ein weiterer Punkt der mir grundsätzlich an Vintro gefällt, ist der historische Kontext der Marke, die an den Motorsport Ende der 1940er Jahre angelehnt ist. Im Besonderen an den Sieg der deutschen Rennfahrer Hermann Lang und Fritz Riess 1952 in Le Mans. Deren Arbeitswerkzeug war damals der legendäre 300SL W194. Konsequenterweise zeigt die Rückseite der Quarzversion daher auch eine schematische Darstellung eben dieses Wagens.

Die Rückseite der Quarz-Variante der Le Mans zeigt den legendären Mercedes 300 SL W194

Rückseite der Vintro Le Mans
Quelle: Vintro-Watches.de

Was mich an dieser Zeit im Rennsport so fasziniert, ist die Tatsache, dass damals noch die Fahrer und ihr Wagemut im Mittelpunkt des Rennsport standen und die Automarken mutig genug waren neuartige Konzepte auszuprobieren. So war es 1952 beispielsweise das erste Mal, dass eine Marke, in diesem Fall Mercedes Benz, mit einem geschlossenen Coupe an den Start gegangen ist. Welche Risiken die Fahrer damals eingegangen sind, spiegelt die Anekdote wieder, dass der Nebel in den Morgenstunden während des 24-Stunden-Rennens so dicht war, dass die Mercedes-Fahrer mit geöffneten Flügeltüren fahren mussten, um sich an den Bordsteinen orientieren zu können. Und das wohlgemerkt bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 150 kmh, die sich damals sicherlich bedeutend aufregender angefühlt hat, als heutzutage in einem perfekt gefederten Mittelklassewagen.

Design: Hommage mit Stil

Die schönste Geschichte hinter einer Marke und die sympathischsten Gründer sind ehrlicherweise relativ wertlos, wenn das Design den persönlichen Geschmack verfehlt. In diesem Fall ist allerdings ganz das Gegenteil der Fall. Ich habe mich beim Anblick der Vintro sofort an das Modell Uni-Compax von Universal Genève erinnert gefühlt. Dies kommt sicherlich nicht von ungefähr, so ist diese Uhr ebenfalls eng mit dem Motorsport verknüpft und hatte ihre Blütephase ebenso während der 1940er Jahre.

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An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass Universal Genève auch Erfinder des Begriffs Compax ist. Heute spricht man typischerweise bei dieser Art von Uhren von einem Bi-Compax Chronographen, was aber streng genommen eine Erfindung der Neuzeit ist.

Anders als, bis dato von mir übrigens ebenfalls angenommen, trägt der Chronograph mit zwei Totalisatoren im Original nämlich den Titel Uni-Compax und der Tri-Compax steht folglich nicht für die Anzahl der Totalisatoren, sondern die drei Funktionen des Zeitmessers mit 12-Stunden-Zähler, Vollkalendarium und Mondphasenanzeige wie diese Quelle erklärt.

Wie dem auch sei, das Design des Universal Genève Uni-Compax hat mir schon immer exzellent gefallen und so ist es auch kein Wunder, dass die Vintro die gewisse Ähnlichkeiten aufweist, mir ebenfalls über alle Maßen zusagt.

Universal Genève oder Strela? Vintro!

Andere Stimmen erkennen bei der Le Mans 1952 große Ähnlichkeiten zu den Chronographen der russischen Marke Strela. Auch das ist bei objektiver Betrachtung keinesfalls von der Hand zu weisen, aber mir gefällt das Vintro-Zifferblatt besser, da feiner gestaltet. Letzteres ist sicherlich eine persönliche Meinung, aber generell sehe ich keinerlei Problematik darin ein bewährtes Design aufzugreifen und in die Moderne zu übertragen. Dies gibt die Gattungsbezeichnung Retro ja ohnehin schon vor.

Retro aber doch frisch: Das Zifferblatt der Vintro Le Mans 1952

Zifferblatt Bi-Compax

Und ein Großteil der populären Designs hat selbstverständlich historische Vorbilder und trotzdem sind diese Uhren als eigenständige Klassiker anerkannt. Man betrachte nur die Entstehungsgeschichte von zwei der prägendsten Modelle aller Zeiten, der Royal Oak von Audemars Piguet und der Nautilus von Patek Philippe.

Präzisionsarbeit in perfekter Proportion

Zurück jedoch zum Gegenstand der Betrachtung, der Le Mans 1952, das Zifferblatt ist nicht nur von der Gestaltung eine echte Augenweide, auch die Verarbeitungsqualität ist erstklassig. Die Skalen sind messerscharf und die Indizes für die Uhrzeit sind ebenfalls absolute Präzisionsarbeit. Die Zifferblattfarbe bei meinem Modell ist zwar mit weiß angegeben, durch die Brechung des Lichts würde ich es jedoch eher als crémefarben bezeichnen, was ohnehin deutlich besser mit der roten Telemeter-Skala harmoniert.

Eine Uhr in modernen Dimensionen aber ohne klobig zu wirken

Vintro Le Mans am Handgelenk

Das Gehäuse insgesamt, ich habe die Quarz-Variante, trägt sich mit 13mm Höhe und 40mm im Durchmesser keinesfalls klobig, sondern passt hervorragend auch zum Business-Outfit. Dabei trägt sie nie auf, aber ich habe während der zwei Wochen die sie sich bis dato an meinem Handgelenk befunden hat, sehr wohl den einen oder anderen Blick wahrgenommen, der versucht hat diese Uhr einer Marke zuzuordnen.

Ein weiteres Detail, was für mich bei der Vintro heraussticht, ist das Band, in meinem Fall das Blaue aus Vintage Leder. Das Blau weist verschiedene Farbnuancen auf, was es optisch deutlich spannender macht, als ein komplett einheitlich durchgefärbtes Band. Zudem ist es von der Haptik sehr angenehm. Man spürt das Leder – im Gegensatz zu den Massenware-Lederarmbändern, die sich oft sehr nach Plastik anfühlen; aber es ist trotzdem nicht so unbehandelt wie bei anderen Microbrands, dass sich quasi unausweichlich in kürzester Zeit Verfärbungen durch Schweiß oder Sonnencreme einstellen.

Auch bei der Verpackung mit dem extra Nato-Armband merkt man die Liebe zum Detail

Verpackung einer Uhr Vitro

Neben dem Lederarmband ist in der, ebenfalls sehr geschmackvollen und hochwertigen Verpackung, auch noch ein Nato-Band dabei. Dank des Schnellwechselsystems lässt sich die Uhr so im Handumdrehen verwandeln. Da mir das Lederarmband so ausgezeichnet gefällt und perfekt zum Vintage-Charakter der Uhr passt, habe ich noch keinen Bandwechsel vollzogen, aber für den Sommer ist das sicher eine ausgezeichnete Alternative.

Breitling-Technik aus Fernost

Bevor ich mich der Technik der Quarzuhr zuwende die ich mein Eigen nenne, an dieser Stelle ein kurzer Ausflug zur Automatikversion, die Vintro ebenfalls im Programm hat. Im Inneren dieser, bis auf ein Plus von 2mm in der Höhe, baugleichen Uhr, befindet sich das Werk Sea-Gull ST1940. Als ich dies bei dem technischen Datenblatt gelesen habe, hat bei mir erst einmal gar nichts geklingelt, aber tatsächlich ist dies ein sehr spannendes Werk, was meiner Meinung nach zu Unrecht in Deutschland unterrepräsentiert ist.

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Das Werk wird in China bei der Firma Seagull hergestellt, basiert aber eigentlich auf dem Venus 175, was beispielsweise die Navitimer 806 von Breitling antreibt. Der Hersteller dieses Werkes, Fabrique d’Ebauches Venus SA, brauchte in den 1960er Jahren Kapital für eine Neuentwicklung und verkaufte daher die komplette Fertigung des Uhrwerks nach China, die sich zu dieser Zeit unabhängiger von der sowjetischen Uhrenbranche machen wollten. Das Werk wurde natürlich modernisiert und vom Handaufzug zum Automatikwerk umgebaut, aber der Stammbaum ist tatsächlich der gleiche wie in einer historischen Navitimer – und das ist ja definitiv keine schlechte Abstammung.

Auch bei der Quarzvariante wurde Wert auf Qualität gelegt, hier befindet sich ein VK64A Meca-Quarzwerk im Inneren. Dieses Hybridwerk hat ein mechanisches Chronographen-Modul, das von der gleichen Batterie wie die Funktion zur Anzeige der Uhrzeit angetrieben wird. Durch diese mechanische Komponente schleicht der Stoppzeiger wie bei einer mechanischen Uhr und mangels Sekundenzeiger bei der Zeitanzeige, ist diese Uhr von außen tatsächlich nicht als Quarzuhr zu identifizieren. Ich bin offen gestanden kein begeisterter Träger von Quarzuhren, aber bei diesem Exemplar stört mich die schlichtere Technik im Vergleich zum Automatikwerk weit weniger. Das Design und die Marke schaffen es augenscheinlich in meinem Emotionszentrum das Wort Quarzuhr ganz weit bei Seite zu schieben.

Mein Fazit zur Le Mans 1952

Wirklich beurteilen kann man eine Uhr generell leider erst wenn man sie mindestens zwei Wochen am Handgelenk getragen hat. Diese Zeitspanne verändert die Gefühle, die man gegenüber einer Uhr empfindet, oft grundlegend. Eine Uhr die man davor als wunderschön empfunden hat, verliert auf einmal ihren Reiz oder der umgekehrte Fall tritt ein und die Emotionen intensivieren sich.

Bei der Vintro ist mir Letzteres widerfahren. Ich war vom Design von Anfang an begeistert aber habe nicht gedacht, dass diese Uhr mein täglicher Begleiter wird. In den letzten zwei Wochen habe ich, mit Ausnahme eines Tages, tatsächlich keine andere Uhr getragen. Sie trägt sich einfach exzellent, das Zifferblatt ist wunderschön und super ablesbar und sie schafft es genau die richtige Mischung zwischen Unaufdringlichkeit und emotionalem Design zu treffen.

Die Vintro Produktpalette

https://www.instagram.com/p/B3hHl_vnUYG/

Preislich liegt die Quarzvariante bei 269€ und die Automatikversion bei 599€. In beiden Ausführungen bekommt man sehr viel Uhr für das Geld und das Gefühl ein Produkt am Handgelenk zu tragen, über das ein Team von Enthusiasten sehr sorgfältig nachgedacht hat. Normalerweise gibt es bei Microbrands immer ein bis zwei Details, bei denen man denkt „in der nächsten Charge wird das Team dieses Detail sicher anders lösen“. Bei dem Vintro Chronograph habe ich diesen, für kleine Marken natürlich absolut verzeihbaren Makel bislang nicht entdeckt.

Daher an dieser Stelle ein ganz großes Chapeau von meiner Seite, für so ein rundum gelungenes und begeisterndes Erstlingswerk, an das Team von Vintro Watches. Ich bin gespannt wohin die Reise der jungen Uhrenmarke aus Pforzheim in Zukunft geht und werde diese sicherlich mit einem sehr wachsamen Auge weiterverfolgen. Die Messlatte haben sie mit der Le Mans definitiv sehr hoch gesetzt und beim nächsten Exemplar werde ich wissen, dass mich hier ein Produkt erwartet, was definitiv nicht mehr in die klassischen Bewertungsmaßstäbe einer Microbrand passt.

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